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Mit drei Jahren kam er aus dem Nordirak in die Schweiz, mit elf Jahren entdeckte er die Bitcoins, mit 21 ist er schwerreich und möchte Kryptos für alle zugänglich machen. Die wundersame Karriere des Dadvan Yousuf.
«Wenn du ehrlich bist: Denkst du manchmal, dass ich Dinge erzähle, die nicht stimmen können?», fragte mich Dadvan, als wir bereits per Du waren.
Das hatte ich tatsächlich schon einige Male gedacht. Zu schön, um wahr zu sein. Zu verrückt.
«Klar, das kann ich absolut verstehen», sagte Dadvan. «Man kann auch nicht alles bis ins Letzte überprüfen. Aber gerade deshalb ist es wichtig, dass wir viel Zeit miteinander verbringen. So kann man sich besser ein Bild von einem Menschen machen.»
Eine Woche zuvor, es ist Anfang Juni, treffen wir uns zum ersten Mal – im Hotel Dolder in Zürich, wo Dadvan Yousuf seit einem halben Jahr wohnt, je nach Lust und Laune mal in dieser, mal in jener Suite. Der Blick auf Stadt und See ist prächtig, der junge Mann in eleganten schwarzen Hosen und schwarzem Hemd sitzt entspannt auf der Bettkante. Er ist freundlich und offen, selbstbewusst und stolz, aber keineswegs ein Grosskotz. Ihm ist lieber, wenn er einfach nur Dadvan und nicht «Herr Yousuf» genannt wird.
In perfektem Berndeutsch erzählt Dadvan also aus seinem Leben und landet irgendwann bei einem Mann, der im Kanton Bern lebt, nennen wir ihn Alex. Die beiden kannten sich zuvor nicht, Alex hatte zufällig auf Instagram-Posts von Dadvan gesehen, wie dieser mit Bitcoins gehandelt hatte. So meldete er sich im Herbst 2020 bei Dadvan, erzählte ihm von der miserablen Lage seiner Familie und fragte ihn, ob er nicht irgendwie helfen könne. Dadvan konnte. Am 11. November 2020 legte er 28 700 Franken von Alex in acht verschiedenen Kryptowährungen an. «Mit seiner Vollmacht habe ich diese Kryptos dann aktiv getradet», erzählt Dadvan.
Am 12. Februar 2021 tauschte er sie wieder ein – diesmal im Wert von exakt 526 000 Franken. Das Geld überwies er zurück an Alex, ohne einen Rappen Gebühr. Als Beleg zeigt mir Dadvan die gespeicherten Daten des Deals und fragt spontan: «Soll ich Alex anrufen?» Klar soll er. Also stellt er sein Handy auf Lautsprecher, und am anderen Ende ist Alex, der zunächst nicht weiss, dass ein Journalist mithört. Wie es denn so gehe, fragt Dadvan. Grossartig, sagt Alex. «Hey, du hast wirklich mein Leben verändert, ich muss mich so bei dir bedanken, dass du dir damals Zeit für mich genommen hast! Ich schwöre, ohne dich hätte ich nie in meinem Leben in Kryptos investiert. Ich danke dir von Herzen für alles!»
Ähnliche Tipps hat Dadvan schon einmal bei einer früheren Gelegenheit gegeben – nicht um selber Geld damit zu verdienen. Sondern um zu beweisen, dass er es kann.
Und wenn der Wert des Bitcoins abgestürzt wäre und Alex sein Geld verloren hätte?
«Ich verdiene inzwischen mehr, wenn der Kurs des Bitcoins fällt, als wenn er steigt», sagt Dadvan, was an den ausgeklügelten Algorithmen liege, die er benutze. Und genau dieses Know-how werde er künftig allen Menschen zur Verfügung stellen, gratis, sozusagen als finanzielle Weiterbildung für die Allgemeinheit, damit jede und jeder davon profitieren könne. Er versteht dies als seinen Beitrag zur Bekämpfung von Armut. «Ich weiss, man glaubt es nicht, aber ich bin einfach so», sagt er und lacht. «Ich bin so reich geworden, mir geht es so gut, jetzt ist die Zeit gekommen, um etwas zurückzugeben.»
Aus Kurdistan nach Ipsach
Tatsächlich hat Dadvan Yousuf dieser Tage ein ziemlich volles Programm. Da ist der Aufbau seiner Stiftung, die er im März in Zug gegründet hat. Sitzungen mit Banken. Gespräche mit seinem Steueranwalt. Endlich die neue Wohnung am Zürcher Bellevue beziehen. Einen Vortrag vor Unternehmern halten. Und ja, dann muss er zwischendurch noch nach Bern, an die letzte Prüfung für den Abschluss seiner KV-Lehre, es fehlt noch das Fach Wirtschaft und Gesellschaft.
Vor kurzem ist der kaufmännische Lehrling Dadvan Yousuf 21 Jahre alt geworden. Multimillionär ist er schon etwas länger, aber beginnen wir von vorne.
Ihren Anfang nimmt diese wundersame Krypto-Karriere in einem kurdischen Nest namens Awihee, ganz im Norden des Iraks, zwischen der Stadt Erbil und der türkischen Grenze. Dort kommt Dadvan Yousuf am 9. April 2000 auf die Welt. Sein Vater kämpft mit den Peschmerga für eine autonome Region Kurdistan. Noch vor Dadvans Geburt flüchtet er in die Schweiz und findet Aufnahme in einer Asylunterkunft in Neuenburg.
Drei Jahre später, kurz vor dem amerikanischen Angriff auf den Irak von Saddam Hussein, macht sich auch Dadvans Mutter mit ihren drei Söhnen auf den «Weg des Todes», wie die Fluchtroute nach Europa in Kurdistan heisst. Doch sie haben Glück, überleben auch die Bootsfahrt über das Mittelmeer und landen im Januar 2003 ebenfalls in Neuenburg.
Der Sechser im Lotto
Ein Jahr später erhält die ganze Familie den Flüchtlingsstatus F und wird von der Heilsarmee in einer Blockwohnung in Ipsach einquartiert, einem Vorort von Biel. Der Platz ist eng, das Geld von der Sozialhilfe knapp, der Vater schlägt sich mit Jobs als Tellerwäscher und Pizzakurier durch. In den nächsten Jahren wächst die Familie zur Grossfamilie mit acht Kindern. Dadvan ist das dritte und wird bereits mit sechs Jahren eingeschult. Er ist vif, hat Energie, doch das erste halbe Schuljahr verhängt er. Das sei der Moment gewesen, erzählt Dadvan, «als ich meinen Sechser im Lotto zog: Frau Maurer».
Eine Woche nach unserem ersten Treffen im «Dolder» sitzen wir in Ipsach im schönen Garten von Anita Maurer zum Kaffee, und dort erzählt sie, wie sie im Januar 2007 unentgeltlich die private Aufgabenhilfe für Dadvan übernahm. Die Unternehmersgattin, selber Mutter von zwei Söhnen, fördert und fordert ihn mit Leidenschaft, dreimal pro Woche und selbst in den Ferien. Zwischen den Lektionen gibt es Holundersirup, und sie spendet auch Trost, wenn er als Einziger seiner Klasse nicht ans Geburtstagsfest eingeladen wird, weil er halt «nid vo hie» ist.
Dadvan blüht auf. «Ohne sie wäre ich vermutlich verloren gewesen», sagt er heute, «denn meine Mutter hätte mir diese Hilfe leider nicht geben können.» Und der Vater noch weniger. Ihn muss Anita Maurer erst noch überzeugen, dass Dadvan später überhaupt eine Berufslehre machen darf, denn seinem Vater würde es reichen, wenn der Sohn nach der Schule möglichst bald in einem Coiffeursalon oder wo auch immer anheuern würde.
Die Schattenkarriere des Elfjährigen
Doch das wird er nicht. Stattdessen startet Dadvan eine Art digitale Schattenkarriere, von der nicht einmal Anita Maurer etwas mitbekommt. Mittlerweile knapp ein Fünftklässler, fragt er sich, wie das eigentlich funktioniert, wenn seine Eltern Geld an Verwandte in Kurdistan schicken wollen. «Zunächst dachte ich, man sende eine Hunderternote per Post», sagt er heute. Bald beginnt der Bub im Internet nach Antworten zu suchen, entdeckt Abkürzungen wie Swift, versucht zu verstehen, wie internationale Banküberweisungen genau funktionieren, und findet rasch heraus, dass es unverschämt teuer wird, bis das Geld in Kurdistan ist.
Bei der Suche nach Alternativen stösst er zum ersten Mal auf den Begriff «Bitcoin» und landet in Chats von Leuten, die davon reden, dass sie alle Banken abschaffen und die Welt auf den Kopf stellen wollten. Das Revolutionsgeschwurbel kümmert ihn wenig, die Bitcoins jedoch sehr. Er denkt sich, das sei das Internetgeld der Zukunft, und solches will er auch gerne haben. Es wird sein Türöffner in eine vollkommen andere Welt.
Warum ihn das schon als Elfjährigen so brennend interessierte? Und nicht die neusten Games oder Fussball wie seinen älteren Bruder? «Weil ich unbedingt aus der Armut herauswollte», sagt Dadvan auf seiner Bettkante im «Dolder». «Wäre ich in einer reichen Familie geboren, hätte mir der Ansporn gefehlt.»
An einem Wintermorgen im Jahr 2011 breitet er auf einem Parkplatz in Ipsach einen Nintendo, Pokémons, Memorys und Puzzles auf einem alten Teppich aus, bis am Abend hat er all seine Spielsachen verkauft. Der Erlös daraus ist sein Anfangskapital. Mit der Kreditkarte seines Vaters kauft der Elfjährige im Frühling 2011 die ersten 10 Bitcoins für insgesamt 15 Euro.
Niemand um ihn herum hat zu jener Zeit auch nur die geringste Ahnung von Kryptowährungen, aber Dadvan, der Fünftklässler mit den pechschwarzen Haaren und dem wachen Blick, kann offenbar so überzeugend reden, dass man ihm mal 20, mal 50 oder einmal sogar 100 Franken zusteckt, damit er weitere Bitcoins kaufen kann. «Es ist nicht so, dass die Leute damals wirklich an mich geglaubt hätten. Für sie war es eher ein Spiel», erzählt Dadvan und versichert, dieses Geld sei das einzige fremde Geld, das er je erhalten und nach ein paar Tagen bereits wieder zurückbezahlt habe, weil er niemandem etwas habe schulden wollen.
Während seine Schulkollegen Paninibildli kaufen, investiert Dadvan nun jeden Franken in Bitcoin. Dessen Wert steigt im Laufe der nächsten 18 Monate um fast das Zehnfache. Dann, am 12. Dezember 2012, macht Dadvan seinen ersten grossen Deal. Auf dem Handy zeigt er mir die gespeicherten Daten: Für 1000 Bitcoins zu 13 Dollar 53 pro Stück zahlt er 11 126 Euro. Am 19. Oktober 2013 verkauft er seine Bitcoins wieder für 134 404 Euro. Damals ist er in der 1. Sekundarklasse, die Familie weiss von nichts, sein Vater glaubt, er sei am Gamen und handle immer noch mit Spielsachen.
Die 134 000 Euro bleiben drei Jahre lang auf einem sogenannten Exchange-Konto. Vorderhand kann er damit nicht einmal neue Fussballschuhe kaufen, obwohl seine nachgetragenen alten viel zu gross sind. Er kann nichts davon abheben, weil dazu ein Bankkonto nötig ist, und dafür ist er zu jung. Doch er will auch gar nichts abheben, sondern lieber weiter Kryptos kaufen, weil er glaubt, dass der Preis noch viel höher steigen werde.
Der Familienmanager
Mittlerweile ist Dadvan, der so gut reden und schnell denken kann, zum «Manager der ganzen Familie» geworden, wie Anita Maurer erzählt. Er dolmetscht für seine Eltern, hilft seinen Geschwistern und schneidet erst noch allen die Haare; das hat er nebenher bei einem kurdischen Coiffeur in Biel gelernt. Aber seine Leidenschaft bleibt die Krypto-Welt, in die er tiefer und tiefer dringt.
Die Familie muss für die nächsten drei Jahre von Ipsach in eine schimmlige Wohnung nach Biel umziehen, wo die elektrischen Drähte aus der Wand hängen und die Kacheln im Badezimmer herausfallen. Sie wohnt direkt neben einer Moschee, doch niemand von ihnen geht dort beten und Dadvan erst recht nicht, er hat nicht viel mit Religion am Hut.
In den Sommerferien nach seinem letzten Sekundarschuljahr macht er den bis dahin grössten Trade. Am 13. August 2016, exakt um 13 Uhr 31, , investiert er 157 925 Euro in 16 023 Stück Ethereum, nach Bitcoin die zweitwichtigste Kryptowährung, für 9 Dollar 71 pro Stück. Die meisten, die ähnlich früh wie Dadvan eingestiegen sind, verkaufen ihre Kryptos wieder mit 100, 200, 300 Prozent Gewinn. Er nicht. Bis heute nicht. Allein die 16 023 Ethereum sind in der ersten Juliwoche 2021 rund 30 Millionen Franken wert.
Die Reise nach Kurdistan
Seit er in der Schweiz angekommen ist, durfte Dadvan nie mehr reisen. Im Mai 2017 erhalten die Mutter und ihre drei älteren Söhne erstmals ein Visum für den Irak. Die vorübergehende Rückkehr in sein mausarmes Herkunftsland bleibt ihm nachhaltig in Erinnerung. Kurdistan ist ihm vollkommen fremd, trotz seiner riesigen Verwandtschaft. Er lernt auch seinen Grossvater kennen, der einst als Händler zu viel Reichtum gekommen war.
Der Mann sei so reich wie geizig gewesen, erzählt Dadvan, habe sich irgendwann mit all seinem Papiergeld in eine Berghütte verzogen, dort aber prompt die Währungsreform nach dem Sturz von Saddam Hussein verpasst und sein Geld nicht rechtzeitig umgetauscht. Heute sei der Grossvater arm und verbittert, doch ihm, Dadvan, sei es eine grosse Lehre: «Ich will meine Bitcoins nicht ins Grab mitnehmen.»
Ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr aus Kurdistan wird er Mitte Dezember 2017 zum ersten Mal mehrfacher Millionär. Aber nur für zwei Tage, dann stürzt der Bitcoin wieder ab. Gerade wegen solcher Erfahrungen behält Dadvan seine Trades für sich, denn schon morgen kann alles wieder anders sein.
Zur gleichen Zeit sucht er eine Lehrstelle. Zu einer normalen Bank will er nicht, lieber wäre ihm die Schweizerische Nationalbank, weil ihn Währungs- und Zinsfragen interessieren, aber die SNB nimmt keine Lehrlinge mit Flüchtlingsstatus auf. So ist er froh, dass er 2018 seine Lehre beim Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung in Zollikofen beginnen kann.
Dadvan arbeitet schnell und hat gute Noten. So kann er es sich leisten, jede freie Minute «exzessiv» zu traden. Kaufen, verkaufen, richtig timen, und dies vor allem mit den richtigen der Tausende von Währungen, die in der Krypto-Welt herumschwirren. «Wie ein Schwamm» saugt er alles darüber auf, er lernt Charts von Kursschwankungen zu analysieren, und er klebt bis zur Erschöpfung am Handy und vor dem Bildschirm.
Die Algorithmen übernehmen
Mehr als 90 Prozent seines Wissens habe er nicht aus der Schule, sondern habe er sich selber beigebracht, erzählt Dadvan. Auch das Programmieren. Der Lehrling beginnt sich mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und Deep Learning zu beschäftigen, entwickelt sein erstes Programm, das Kryptowährungen automatisch tradet, und nachdem er zwei Jahre später auch noch ein Risikomanagement in die Software eingebaut hat, sei er als manueller Trader «in Rente gegangen», wie er heute sagt. Die Algorithmen haben übernommen.
2020 und bisher auch 2021 werden für ihn offenbar zu goldigen Jahren, gerade weil sie in der Pandemie so extreme Kapriolen an den Märkten brachten und die Zentralbanken Billionen von Dollar und Euro ins System pumpten, die zu einem guten Teil in Aktien und Kryptowährungen flossen.
Mittlerweile ahnen ein paar Leute, dass Dadvan nicht nur von seinem Lehrlingslohn lebt. 2020 macht er zum ersten Mal seit 2011 ein Outcashing. Er, der auf einem Berg von Bitcoins sitzt, aber zu Hause immer noch auf einer Matratze auf dem Stubenboden schläft, erfüllt sich einen Traum und verbringt einmal ein Wochenende im Hotel Palace in St. Moritz und ein weiteres im «Four Seasons» in Genf.
Aber er merkt bald, dass die geposteten Selfies nicht nur gut ankommen. Der Lehrling lernt den Neid kennen, es wird zunehmend schwierig an seinem bisherigen Ausbildungsort, so dass er schliesslich von sich aus die Lehrstelle kündigt und das letzte halbe KV-Jahr in einer Berner Immobilienfirma absolviert. Er will diesen Abschluss unbedingt.
Im Dezember 2020, der Kurs des Bitcoins rast seit zwei Monaten nach oben, beschliesst Dadvan Yousuf, sein Schattendasein als Krypto-Millionär zu beenden. Denn er fühlt sich mittlerweile definitiv abgesichert gegen einen neuerlichen Absturz der Kryptos. So zieht er von der elterlichen Sozialwohnung direkt ins «Dolder» um, das vielleicht bekannteste Fünfsternehotel der Schweiz, das er bereits von einem früheren Besuch kannte. «Altes Geld», auch das hat er früh realisiert, zeigt hierzulande nicht, was es hat.
Er schon, nach fast 20 Jahren in der Armut. «Ich bin jetzt wohl in Anführungszeichen ein Neureicher», sagt Dadvan, und er realisiert sehr wohl, dass das eine ambivalente Sache ist. Noch so jung und schon so reich, von so weit unten gestartet und jetzt unschweizerisch unbescheiden ganz oben einquartiert – mit seiner steilen Krypto-Karriere ist Dadvan Yousuf eine wandelnde Provokation für die etablierte Schweiz. Auch wenn er selber das gar nicht sein will.
Dadvan fühlt sich wohl in Zürich. «Hier gibt es altes Geld und neues Geld, und es tanzen mehr bunte Figuren auf der Bühne.» Rasch lernt er den Luxus der Fünfsternewelt zu schätzen, vom Spa bis zum Limousinenservice des Hotels, den er gerne in Anspruch nimmt, weil er selber nicht Auto fahren kann. Nebst Familie, Traden und KV-Lehre hatte er noch keine Zeit für Fahrstunden. Nach ein paar Wochen lädt Dadvan auch einmal seinen Vater ins «Dolder» ein, aber der ist froh, dass er am Abend wieder nach Hause kann. Er passt nicht in diese Welt.
Bei den Krypto-Nerds im «Dolder»
Sein kommunikativer Sohn jedoch bewegt sich rasch geschmeidig in der neuen Umgebung, zumal das «Dolder» in den letzten Jahren zu einem beliebten Refugium von Krypto-Nerds geworden ist. Einer, den Dadvan kennenlernt und dem eine florierende Blockchain-Firma gehört, soll bereits seit fünf Jahren hier wohnen, wohl auch deshalb, weil man im «Dolder» mit Kryptos bezahlen kann. Im Businesscenter steht sogar eine Maschine zum Kauf oder Umtausch von Bitcoin und Ether.
Etliche dieser Nerds, die Dadvan nun am Pool oder in der Turmsuite trifft, die 14 500 Franken pro Nacht kostet, verbrachten ihr halbes Leben in abgedunkelten Zimmern mit Programmieren und gehen noch heute gerne mit einem Hang zur Anarchie durchs Leben. Doch er selber versteht sich ganz und gar nicht als verschrobener Nerd, sondern als «sehr rational, nüchtern, analytisch». Dass manche Krypto-Millionäre sich als Antikapitalisten gebärden, hält er für absurd, und noch weniger kann er deren Flair fürs Anarchische und Nihilistische nachvollziehen. Wer aus dem Nordirak geflüchtet ist, dessen Bedarf an Chaos ist gedeckt.
So kommt sein Vorbild denn auch nicht aus der Krypto-Szene, und ebenso wenig ist es Elon Musk, den er für einen grossen Bitcoin-Kurs-Manipulator hält. Vielmehr verehrt Dadvan den Apple-Gründer Steve Jobs, dessen berühmte Abschiedsrede vor Studenten – «Stay hungry! Stay foolish!» – er längst auswendig kennt. «Steve Jobs revolutionierte das Handy und den Computer und machte sie für die Masse komfortabler. Genau das möchte ich für die Krypto-Szene machen.»
«Let’s change the world», heisst der Slogan seiner Nonprofit-Stiftung Dohrnii, benannt nach der als unsterblich geltenden Qualle Turritopsis dohrnii. Klingt alles sehr unbescheiden, er weiss es, aber so sieht er es nun einmal. Über die Stiftung will er jedem und jeder die Tools zugänglich machen, mit denen er in den letzten drei Jahren ein Vermögen gemacht hat – und zwar gratis. «Jeder Mensch soll Zugang zu finanzieller Bildung im Krypto-Bereich erhalten und lernen, wie man tradet und investiert.» Seine Algorithmen weiterhin nur für sich selber arbeiten zu lassen, hielte er hingegen für «reinen Egoismus».
«Wir wollen Sie reich machen!»
Mitte Juni ruft der KV-Lehrling fünfzig mittelständischen Unternehmern in Zofingen zu: «Unser Ziel ist es, Sie reich zu machen!» Die Unternehmer im Bereich Fassadenbau haben ihn aufgrund eines Artikels im «Bund» als Referenten eingeladen. Es ist der erste Vortrag seines Lebens ausserhalb der Schule. In lockerer freier Rede gibt er eine Einführung in die Krypto-Welt, erklärt Begriffe wie «Blockchain» und «Wallet», warnt vor dem inflationären, weil massenhaft frisch gedruckten Dollar, und er lobt den deflationären, weil auf 21 Millionen Stück limitierten Bitcoin. Schliesslich folgt noch ein schöner Werbespot für seine Plattform, eben: «Wir wollen Sie reich machen!»
Ein Zauberlehrling, dieser junge Mann? Vielleicht. Aber, so hofft Dadvan jedenfalls, keiner wie jener von Goethe, der die Geister, die er rief, irgendwann nicht mehr kontrollieren kann und dem am Ende alles um die Ohren fliegt.
Es gab schon viele Leute, die grosse Hoffnungen auf raschen Reichtum weckten. Und nicht wenige dieser Karrieren endeten gar nicht gut. Doch Dadvan bleibt gelassen: «Ich verspreche niemandem etwas. Ich sage nur, dass ich mein Bestes gebe, um den Leuten da draussen bei ihren Krypto-Investments zu helfen. Es gibt ein enormes Upside-Potenzial, aber ich warne auch vor dem Risiko eines Totalverlustes.»
Es raunt in den Reihen der Unternehmer. Man ist ebenso verblüfft wie fasziniert vom kecken Auftritt des jungen Mannes, der gleichzeitig Lehrling und CEO einer Stiftung ist und scheinbar den Schlüssel zur mirakulösen Geldvermehrung gefunden hat. Zugleich fragt sich mancher dieser gestandenen Gewerbler, wie das alles sein kann. Gewiss, auch sie sind Aktionäre und wissen, dass die Börsen dieser Tage wieder wie Kasinos sind. Aber das scheint etlichen doch noch vertrauter als diese Krypto-Millionen, die von irgendwoher kommen und morgen vielleicht nur noch Schall und Rauch sind.
Eigentlich hatte Dadvan kritische Nachfragen erwartet. Sind Kryptos nicht ein riesiges Schneeballsystem? Ein Darkroom für Terroristen und Kriminelle? Ein gewaltiger Energiefresser, der keinen realen wirtschaftlichen Mehrwert generiert? Stattdessen ist die erste Frage aus dem Publikum: «Kürzlich wollte ein Kunde ein Dach mit Bitcoins bezahlen. Wie kann ich überhaupt ein Konto einrichten?» Der zweite Frager kommt gleich auf den Punkt: «Hier sind tausend Stutz – vermehren Sie die!»
Dadvan gluckst vor Vergnügen. Man dürfe gerne in seinen eigenen neuen Coin namens Dohrnii investieren, den er gerade in einem sogenannten ICO lanciert wie eine Aktie vor dem Börsengang. Bis am Ende des Tages hat jeder dritte seiner Zuhörer sein Interesse deponiert und will zumindest «ein bisschen Spielgeld» auf den Dohrnii setzen, wie mir einer der Unternehmer sagt – trotz Risiko eines Totalverlustes.
Bis jetzt kennt so gut wie niemand in der Schweizer Krypto-Szene den Namen Dadvan Yousuf. Auch Alexander Ilic nicht. Der Professor für künstliche Intelligenz an der ETH Zürich ist ebenfalls als Referent in Zofingen geladen und hat deshalb den ambitionierten Autodidakten gleich live erlebt. Sein Eindruck? Er findet Dadvan Yousuf «authentisch» und dessen Engagement «super», doch sei schwer zu sagen, ob ausgerechnet dieser Coin und diese Plattform Erfolg haben würden, denn es gebe weltweit bereits mehr als 10 000 Krypto-Währungen und diverse davon mit ähnlichen Ideen.
Skeptischer sind andere Experten, die ich zu Dohrnii befragte und die auf hohe technologische und regulatorische Hürden bei diesem Projekt verweisen. Kryptos als Geldmaschine für die Masse? Eine Illusion, meint die Mehrheit. In einem Punkt hingegen sind sich die meisten Experten einig: «Für die nächste Generation wird ein Krypto-Konto selbstverständlich sein», sagt Alexander Ilic.
Doch noch scheiden sich hier die Geister. Während immer mehr Söhne und Töchter im Krypto-Kasino dabei sind, halten ihre Eltern weiterhin Abstand. In Dadvans Familie ist es ähnlich. Für seine Eltern bleiben Kryptos ein Rätsel, während seine beiden älteren Brüder mittlerweile in der Dohrnii-Stiftung arbeiten. Die anderen Geschwister scheinen sich hingegen wenig bis gar nicht für Kryptos zu interessieren. Eine Schwester macht eine Lehre als Fachangestellte Gesundheit, ein Bruder beginnt bald eine Ausbildung als Metallbauer, sein kleinster Bruder will später Arzt werden und die jüngere Schwester Lehrerin, sehr zu Dadvans Freude.
Die Rückzahlung
Für die Familie hat sich ohnehin so manches verändert seit Dadvans Coming out als Kryptomillionär. Im April 2021 meldet er sich bei der Vorsteherin des Sozialamtes von Ipsach und erklärt, seine Eltern benötigten per sofort keine Fürsorgegelder mehr. Er wolle überdies sämtliche Sozialhilfebeiträge für die ganze Familie zurückzahlen, seit diese in der Schweiz lebt. «Haben Sie im Lotto gewonnen?», fragt die Vorsteherin.
Nein, es seien ein paar Deals für ihn aufgegangen, antwortet Dadvan. Und er wolle diesem Land, das so viel für ihn und seine Familie getan habe, etwas zurückgeben. Schliesslich erhält er wie gewünscht eine Liste mit der aufgelaufenen Sozialhilfe, und das ist beileibe nicht wenig für eine zehnköpfige Familie im Laufe von zwanzig Jahren. Der Betrag liegt bis zur Überweisung auf einem Sperrkonto – in Franken, nicht in Bitcoins. (Die involvierten Ämter nehmen keine Stellung dazu und verweisen auf Persönlichkeits- und Datenschutz.)
Jetzt, da sie kein Geld mehr vom Staat benötigt, ist die Familie auch aus der vom Sozialamt finanzierten Blockwohnung ausgezogen. Bisher lebte sie in Ipsach unten an der Durchgangsstrasse, nun hat Dadvan oben am Hang ein geräumiges Haus mit Garten und Swimmingpool für seine Eltern und Geschwister gemietet. Anfang Juni sind sie eingezogen und können ihr Glück noch immer kaum fassen.
Der stolze Vater, 42, steht bei unserem Besuch im Garten, streckt seine Arme Richtung Himmel und sagt: «Allah hat mir diesen Sohn geschenkt. Vor fünf Monaten bin ich wie neu geboren.» Die nicht minder stolze Mutter, 41, ist gerade nicht zu Hause, doch sie hat Dadvan ein Video geschickt, das sie bei ersten Schwimmversuchen im eigenen Pool zeigt, unterrichtet von ihrer Tochter. «Meine Mutter, die schwimmen lernt, mein Vater, der sich wie neu geboren fühlt – das sind die Momente, in denen ich denke: Jetzt hast du es geschafft. Und nicht, wenn ich nochmals 100 Millionen mehr auf meinem Konto sehe.»
Das Problem mit den Banken
Nun muss er wieder weiter, er hat noch so viel vor. Seit kurzem arbeitet Dadvan mit Schweizer Bankern, die doppelt oder dreimal so alt sind wie er und langjährige Karrieren bei den Grossbanken hinter sich haben. Mit ihrer Erfahrung und vor allem ihren Netzwerken sollen sie ihm die Türen in die Welt des alten Geldes öffnen.
Denn das grösste Problem des Dadvan Yousuf ist derzeit, ein ganz normales Bankkonto zu eröffnen. Vor allem bei den Grossbanken leuchten sämtliche Warnlampen auf, wenn ein 21-jähriger Mann mit irakischem Pass aus dem Nichts kommt und eine oder gleich mehrere Millionen Franken bei ihnen deponieren möchte. Klar, der Verdacht auf Geldwäscherei liegt nahe, da macht sich Dadvan keine Illusionen. Die eine Grossbank, so erzählt er, würde am liebsten auch sein Lehrlingskonto kündigen, die andere empfängt ihn gar nicht erst aus Angst vor Reputationsrisiken.
So weicht er halt nach Liechtenstein oder zu kleineren Schweizer Banken aus. Sie alle sind scharf auf sein Vermögen, doch es geht gar nichts, solange er dessen Herkunft nicht erklären kann. Dazu muss er seine sogenannte «source of funds», also den Ursprung seines Reichtums offenlegen, und das kann er wiederum dank der Krypto-Börse Coinbase, die seine ersten grossen Trades aus den Jahren 2012, 2013 und 2016 fälschungssicher ausweist. Bleibt nur noch, dass er nie das persönliche Passwort für seine Wallet vergisst, wie das digitale Portemonnaie für Kryptos heisst. Ohne Passwort verschwände sein ganzes Vermögen unwiederbringlich in den Weiten des Krypto-Space.
Zwischen Bankbesprechungen in Vaduz und Vertragsunterzeichnungen in Zürich muss er auch einmal nach Bern, wie immer mit dem Zug. Es ist die letzte KV-Abschlussprüfung, und seit dem Artikel im «Bund» wissen so ziemlich alle an seiner Berufsschule von Dadvans kometenhafter Krypto-Karriere. Die einen fragen, warum er überhaupt noch zur Prüfung aufkreuze, die andern sagen, genau das fänden sie cool, während Dadvan selber lacht, als er davon erzählt. «Wenn einmal alles zusammenbrechen sollte, dann habe ich immer noch ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis.»
Doch er scheint nicht die geringste Angst davor zu haben, er könnte alles wieder verlieren wie einst sein Grossvater. Ob nun die misstrauischen Staaten und Notenbanken die Krypto-Szene durchregulieren oder ihr gleich ganz den Strom abstellen wollen, Dadvan bleibt optimistisch. Selbst bei einem Crash, so glaubt er, würde er dank seinen intelligenten Algorithmen noch verdienen.
Wohin mit dem Vermögen?
Mittlerweile ist er daran, sein Vermögen zu diversifizieren – in Aktien, Gold und Immobilien. Und er hat bereits konkrete Pläne, ein eigenes, auf Kryptos basierendes Family-Office zu gründen, was man im Allgemeinen bei einem Vermögen von mindestens 100 Millionen Franken tut. Nun berät der Steueranwalt einer renommierten Zürcher Kanzlei den jungen Klienten, wie und wo er seine Assets und Schriften am besten parkieren soll. Der Kanton Schwyz nähme ihn offenbar ebenso gerne auf wie der Krypto-freundliche Kanton Zug, wo man seine Steuern unterdessen auch mit Bitcoins begleichen kann.
Der Kanton Bern wiederum, wo der KV-Lehrling Dadvan Yousuf bisher steuerpflichtig war, möchte ihn unbedingt behalten, obwohl es dort vergleichsweise richtig teuer für den jungen Mann wird. Auch wenn sein Steueranwalt darob nur den Kopf schüttle, wolle er seine privaten Steuern weiterhin in Ipsach abliefern, was gemäss Prognose bedeute, dass er allein so viel Vermögenssteuer bezahlt wie alle 3740 Einwohner der Gemeinde zusammen. In Franken, nicht in Bitcoins. Das tue er gerne, sagt Dadvan, mit seinen Steuern könne Ipsach nun ein Schulhaus renovieren oder ein paar Spielplätze bauen.
Für den vielleicht jüngsten Selfmade-Multimillionär des Landes beginnt jetzt die Phase mit tausend neuen Freunden und Beratern, und hier die richtigen zu finden, wird womöglich mehr Lehrgeld kosten als die richtige Wahl aus zehntausend Kryptowährungen. Diese Wahl nimmt ihm kein Algorithmus ab.
Sie habe sich auch schon gefragt, wie man die Bodenhaftung behalten könne, wenn man so jung und plötzlich so reich sei, sagt Anita Maurer, Dadvans Nachhilfelehrerin, an ihrem Gartentisch in Ipsach. «Ich mag ihm alles von Herzen gönnen, aber ich wäre schon zufrieden gewesen, wenn er zum Beispiel Architekt geworden wäre.» Und nicht Multimillionär oder sogar «der Brown-Boveri unserer Zeit», wie ihr Ehemann findet. Frau Maurer ist zuversichtlich, dass Dadvan nicht abhebt, weil er einen guten Charakter habe und «guet bödelet» sei.
Doch Dadvan, der Zauberlehrling, will sehr wohl abheben. Er möchte endlich einmal nach London, ins Silicon Valley, nach Dubai. Noch hat er nur die Aufenthaltsbewilligung B und einen irakischen Pass, was das Reisen schwierig macht. Aber bereits winken mehrere Kantone mit dem Schweizer Pass – sofern er dort seine Steuern bezahlt. Sobald er den roten Pass hat, will er hinaus. «Dann steht mir die Welt offen. Die Schweiz ist nicht das Ende. Für mich ist es erst der Anfang.»
Author: Robert Jarvis
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