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Deutschland strebt nach Migrationsabkommen mit Afrika. Fachkräfte sollen kommen, abgelehnte Asylbewerber gehen.
In der Millionen-Metropole Lagos kann Olaf Scholz studieren, dass das viel einfacher klingt als es ist. Und das liegt auch an eigenen Widersprüchen und möglichen Konflikten mit Brüssel.
Das Gebäude ist unscheinbar, nichts Spektakuläres, ein paar gepflegte flache Hütten mitten in der Millionen-Metropole Lagos. Eingeklemmt zwischen Baustellen, Märkten, einer Kaserne. Und das in einer Stadt, die zu den größten der Welt zählt. Man muss den Ort hier schon sehr entschlossen suchen, um ihn auch zu finden.
Heute ist der deutsche Kanzler hier zu Gast. Das Zentrum für Migration, Re-Integration und Entwicklung, so klein es ist, kümmert sich um ein für Deutschland großes Thema. In der Sache und in der politischen Bedeutung. Olaf Scholz spricht hier mit Menschen, die als Flüchtlinge in Deutschland abgelehnt wurden, mühsam zurückkehrten und an diesem kleinen Ort, gesponsert und organisiert auch durch die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GIZ, Hilfe und Ausbildung bekommen. Das Ziel: sie befähigen, sich in Nigeria wieder einzugliedern.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Africa.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Africa.Table am 31. Oktober 2023.
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Thema Migration gewinnt an Dringlichkeit
Das klingt schön – und ist gekoppelt mit dem großen Thema, wie Deutschland all jene wieder zurückschicken kann, die in Deutschland kein Asyl bekommen haben. Scholz hat da zuletzt einen schärferen Ton angeschlagen. Die hohe Zahl an zu versorgenden Flüchtlingen in Deutschland hat das politische Klima verändert, die gegen Flüchtlinge agitierende AfD gestärkt und jetzt für eine Dringlichkeit gesorgt, das Problem neu anzugehen.
Auf der dreitägigen Afrika-Reise ist dem Kanzler anzumerken, wie sehr ihm das Thema mittlerweile auf den Nägeln brennt. Jahrelange Streitereien in Europa, mit Brüssel und in Deutschland haben ihm offenbar vor Augen geführt, dass er selbst zum Antreiber werden muss.
Ablehnen, abschieben, in Nigeria re-integrieren
In Lagos immerhin sieht die Sache lösbar aus. Scholz kann hinter verschlossenen Türen mit einigen sprechen, denen die Rückkehr gelungen ist. Ein Schritt allerdings, der auch mit Scham behaftet sein kann. Immerhin haben sie ihr ursprüngliches Ziel nicht erreicht: ein Leben in Europa. Für Scholz aber steht im Vordergrund, dass es möglich ist: Ablehnen, wenn kein Asylgrund vorhanden ist, dann nach Hause schicken – und dort wieder integrieren. Aus Sicht des Kanzlers eine gute Geschichte. „Ermutigend“ nennt er diese Geschichten.
Allerdings muss man festhalten, dass das Zentrum seit 2018 gerade gut 4000 solcher Schicksale positiv befördern konnte. Zuhause in Deutschland sind derzeit gut 13.500 Menschen registriert, die als abgelehnte Asylbewerber aus Nigeria keine Aufenthaltsgenehmigung mehr haben und doch noch da sind. Ein Großteil von ihnen (ca. 12.500) haben keine gültigen Papiere, und Nigeria nimmt sie aus diesem Grund bislang nicht auf.
Tinubu zur Kooperation bereit
Am Sonntag hat Präsident Bola Ahmed Tinubu zwar zugesagt, dass man hier kooperationsbereit sei, „wenn das wirklich unsere Leute sind“ und „wenn sie sich gut benommen haben“. Um das aber überprüfen zu können, bräuchte Berlin ständig einen nigerianischen Beamten in Deutschland – was bisher nicht passiert ist. Wenn es also konkret wird, wird’s schwierig. Scholz hat sich gleichwohl vorgenommen, an der Stelle sehr hartnäckig zu bleiben. In Lagos sagt er, in seinem Gespräch mit dem Präsidenten seien beide „sehr klar“ gewesen. Deshalb gehe er davon aus, dass das jetzt klappt.
Dabei weiß er, dass sich durch die politische Großwetterlage die Verhältnisse massiv geändert haben. Mit Forderungen allein erreicht er nichts mehr. Dem Partner muss schon auch was geboten werden.
Partner beim Fachkräftemangel?
Das heißt: Deutschland muss und will Fachkräfte anwerben. Doch was leicht klingt, ist alles andere als einfach: Wer soll das in einem Land wie Nigeria organisieren? Hier kommt wieder das Migrationszentrum in Lagos ins Spiel. Wenn es nach dem Willen des Kanzlers geht, sollen hier künftig nicht nur Menschen zurückkehren, sondern sich von hier aus auch auf den Weg machen. Aus einer Tür sollen zwei werden, so lautet die Hoffnung.
Allein: Die Details sind noch nicht geklärt, nur der Wille ist mittlerweile eindeutig. In Deutschland, aber auch in Nigeria. Präsident Bola Ahmed Tinubu sagte am Montag, in seinem Land gebe es 15 Millionen junge Menschen, die auf der Stelle bereit seien, mit Ausbildung etwas Neues zu beginnen. Aus diesem großen Kreis einen Pool auszusuchen und für sie die richtigen, also legalen Wege zu schaffen, wird eine Mammutaufgabe.
Zumal sich dabei zeigt, wie sehr auf dem Weg dorthin alte Begrifflichkeiten und Strukturen im Weg stehen. Das fängt bei Wörtern wie Sicheres Herkunftsland, Sicherer Drittstaat, Rückführungsabkommen und Migrationsabkommen an. Sie alle schwirren nach wie vor durch die Debatten und Pläne, ob nun in Berlin oder Brüssel. Auf Scholzens Reise wird klar, dass der Kanzler beim Beispiel Nigeria abwarten möchte, was Brüssel mit dem Land gerade verhandelt. Wie es heißt, seien die Gespräche kurz vor dem Abschluss.
Deutschland wartet auf Brüssel
Allerdings hat das ganze einen Haken: Während Deutschland Nigeria direkt anbieten kann, in einem Abkommen Zuwanderung und Rücknahme gleichzeitig zu regeln, damit es erkennbar auf beiden Seiten Gewinner gibt, muss sich die EU auf Verhandlungen über die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber beschränken. Das ist, noch dazu in der veränderten politischen Stimmungslage mit selbstbewussten afrikanischen Staaten, schwerer geworden – und kann höchstens mit Zugeständnissen an anderer Stelle gekoppelt werden – seien es Geldzahlungen, Hilfen für den jeweiligen Grenzschutz oder ähnliches.
Aus diesem Grund wächst in Berlin die Sorge, dass die EU-Verhandlungen zwar bald abgeschlossen werden, aber das Ergebnis beim Thema Rückführung und Abschiebung nicht hart genug ausfällt. Was dann aus Sicht der Regierung nur heißen kann, weitere Verhandlungen zu führen. Der Kanzler nämlich weiß, dass er was liefern muss. So, wie es derzeit ist, kann es auch aus seiner Perspektive nicht mehr bleiben.
Mittel gekürzt, Zuständigkeit unklar
Bitter dabei: Noch gibt es Widersprüche, auch im eigenen Handeln. So ist in Lagos zu erfahren, dass sich das Migrationszentrum aktuell nicht mehr um Rückkehrer kümmert, weil es dafür formal nicht mehr zuständig ist. Das Zentrum als Projekt der GIZ untersteht dem BMZ, aber seit Beginn dieser Legislatur untersteht die Politik rund um die Rückkehrer dem Bundesinnenministerium.
Außerdem sind die Mittel ausgerechnet jetzt um mehr als die Hälfte gekürzt worden. Das, so steht zu vermuten, müsste sich wieder ändern, will man an der Stelle Erfolg haben. Bislang ist das kleine Migrationszentrum in der Riesenstadt Lagos ein Hoffnungsschimmer, eine Idee, eine Blaupause für die Zukunft. Mehr aber auch nicht. (Von Stefan Braun)
Author: Richard Lowery
Last Updated: 1703148842
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